Projekterfolg beginnt im Unternehmen

Die Einführung einer neuen ERP-Lösung ist für Oberflächenveredler ein großer Schritt. Schon die Wahl des geeigneten Softwarepartners stellt Unternehmen vor Herausforderungen, wie das Beispiel eines Oberflächenveredlers zeigt.

Das 1996 als Kooperation verschiedener Automobilzulieferer gegründete Unternehmen – VIA steht für Verbund Industrieller Automobilzulieferer – ist Spezialist für Entfetten, Trovalisieren und Feinreinigung von industriellen Werkstücken. Der Erfolg des Unternehmens, das circa 200 Mitarbeiter beschäftigt, fußt auf seiner hohen Expertise und Dienstleistungsbreite in der industriellen Teilereinigung: Insbesondere in der Feinreinigung bietet das Unternehmen seinen vorwiegend aus dem Automotivesektor stammenden Kunden maximale Flexibilität hinsichtlich Teiletypen und Teilegeometrie. VIA Oberflächentechnik verfügt über Europas größtes Feinreinigungszentrum, in dem auch Großserien komplett unter Reinraumatmosphäre feingereinigt werden können. Das Unternehmen ist nach ISO TS 16949:2009, DIN EN ISO 9001:2008 sowie DIN EN ISO 50001:2011 zertifiziert.

Blick in das Feinreinigungszentrum bei VIA Oberflächentechnik

Faktoren im ERP-Auswahlprozess

Bereits im Herbst 2014 erteilte die Geschäftsführung von VIA Oberflächentechnik seinem Schwesterunternehmen VIA Consult den Auftrag, zunächst die Anforderungen zusammenzutragen, die an eine künftige ERP-Lösung gestellt werden sollten. Dabei ging es nicht nur darum, das Tagesgeschäft adäquat abzubilden. Das Unternehmen nutzte die Chance, um sich strukturell auf die zukünftigen Anforderungen der Digitalisierung einzustellen. Ergebnis der internen Analyse war ein 50-seitiges Lastenheft, das sich sowohl bei der Auswahl des geeigneten Softwareanbieters als auch später bei der Projektrealisierung als wichtige Planungs- und Entscheidungshilfe erwies.

Individualentwicklung gering halten

Die Suche nach geeigneten ERP-Softwarepartnern führte VIA Oberflächentechnik bewusst referenzorientiert durch. Ziel war es, die Erfahrungen anderer Oberflächenveredler mit einzelnen Lösungen für die eigene Entscheidungsbildung zu nutzen, bevor es in der Präsentationsphase darum gehen würde, die Systeme selbst kennenzulernen und anhand des Lastenhefts auf ihre Eignung zu prüfen.

Letztendlich blieben vier ERP-Programme zur Auswahl und wurden mit Hilfe der 90 im Lastenheft definierten Anforderungen auf Eignung für die VIA Oberflächentechnik geprüft. Zum Kriterienkatalog gehörte der Aufwand. Mit dem eine Anforderung umgesetzt werden konnte. Das erklärte Ziel war es, den Aufwand an Individualentwicklung möglichst gering zu halten. Wie aufgeschlossen der künftige Softwarepartner gegenüber mobilen Anwendungen ist und ob bereits Anwendungen umgesetzt waren, stellte bei der Partnerwahl eine weitere Kernfrage für VIA Oberflächentechnik dar.

Am Ende des Auswahlprozesses fiel die Wahl auf Omnitec, die ERP-Branchenlösung des Karlsruher Softwareanbieters Softec AG. „Diese ERP-Lösung deckte bereits im Standard einen hohen Anteil unserer Anforderungen aus dem Lastenheft ab. Das hat zwei entscheidende Vorteile: Die Funktionalität ist in der Praxis erprobt und die Projektkosten bleiben im Rahmen, weil für uns nicht speziell entwickelt werden muss.“, begründet Jörg Marquardt, Projektleiter bei VIA Consult, die Entscheidung.

Programmflexibilität im Fokus

Die VIA Oberflächentechnik GmbH fordert ihrem ERP-System eine hohe Flexibilität ab. Das Programm soll so anpassbar sein, dass geplante und auch je nach Kunden variierende Prozesse ohne weitere Kosten optimal unterstützt werden. Gerade in der Preisgestaltung, die beim Teilereiniger sehr detailliert und flexibel gestaltet werden muss, überzeugte die bereits im Standard vorhandene Konfigurierbarkeit von Omnitec. Die ERP-Software bildet Mindermengen ebenso ab wie Staffelpreise oder Preise pro Palette. Zuschläge zur schnellen Teilebearbeitung für Kunden, die Teile innerhalb von Stunden entfettet, trovalisiert oder gereinigt haben wollen, wurden rein konfigurativ umgesetzt. Auch auf weitere Ausnahmeregelungen ist die Preisgestaltung des ERP-Systems eingestellt. So ist es bei VIA Oberflächentechnik durchaus üblich, dass die Lieferung eines Artikels, der standardmäßig nur entfettet wird, bei der Anlieferung plötzlich den Vermerk enthält: „diesmal auch Gleitschleifen“. In dem Fall wird in der Preiskondition des Artikels lediglich die Option aktiviert: „plus Gleitschleifen“ und der Auftrag wird automatisch korrekt abgerechnet.

Anpassung an kurze Durchlaufzeiten

Im Tagesgeschäfts des Teilereinigers sind die Durchlaufzeiten extrem kurz. Da zu Stoßzeiten viele LKWs auf einmal anliefern, muss die bei VIA eingesetzte ERP-Software besonders im Wareneingang durchdachte Funktionalität bieten. Unter dem bestehenden Termindruck darf die Auftragsanlage nicht zum Flaschenhals werden. In OMNITEC wird über die Standardfunktion „Auftrag mit Anlieferung“ beim Buchen des Auftrags gleich eine Anlieferung mit erzeugt. Bis die Ware in der Fertigung ist, liegt dort auch der Betriebsauftrag mit allen Arbeitsschritten und entsprechenden Bearbeitungshinweisen vor.
Bei VIA Oberflächentechnik werden alle Formulare wie der Betriebsauftrag, der Warenanhänger oder der Speditionsauftrag automatisch genau in der Anzahl der vorhandenen Paletten gedruckt. Dies spart im Wareneingang viel Zeit; die Paletten sind schnell für die Fertigung vorbereitet.  Während der Auftragserfassung eingegebene Versandnummern werden zur Nachverfolgung auf internen Dokumenten und Ausgangspapieren gedruckt. Die Bezeichnung der Versandnummern kann je nach Kunde angepasst werden. Zum einen erleichtert das die Eingabe der Nummer im Auftrag. Der Anwender sieht, wo die jeweilige Kundennummer erfasst werden soll. Zum anderen freuen sich VIA-Kunden über die ihnen vertraute Nummernbezeichnung und können die ankommende Lieferung schneller zuordnen.

Enge Abstimmung in der Projektphase

Den Beginn der eigentlichen Softwareeinführung markierte im April 2016 ein Workshop, bei dem das Softec Projektteam gemeinsam mit dem VIA Projektteam – bestehend aus Projektleiter Marquardt sowie drei weiteren Teammitgliedern der VIA Oberflächentechnik – die Umsetzung samt Fahrplan in einem Soll-Konzept konkretisierte. Im nächsten Schritt führte der ERP-Anbieter die Basiskonfiguration des Programms durch und installierte das vorkonfigurierte System bei VIA Oberflächentechnik in einer Testumgebung. In einer iterativen Vorgehensweise wurden nun anhand von Beispieldaten alle Teilprozesse im Programm geprüft und, wo erforderlich, feinjustiert.

Die Projektleitung von VIA Oberflächentechnik stimmt mit der Softec Projektleitung darüber ein, dass klar definierte Verantwortlichkeiten, Aufgaben und Projektetappen sowie der enge, regelmäßige Informationsfluss den Erfolg einer Softwareeinführung entscheidend beeinflussen. Damit ein solches Projekt firmenintern ohne zu große Belastung für einzelne abläuft, empfiehlt Jörg Marquardt die Gründung eines Projektteams auf Kundenseite: „Für ein Unternehmen ist eine Softwareeinführung am besten zu stemmen, wenn sie auf mehreren Schultern verteilt ist und jeder bei seiner begrenzten Zeit genau weiß, was er wann zu tun hat.“ So wurden bei VIA Oberflächentechnik die Teilaufgaben entsprechend verteilt. Während ein Teammitglied die internen Fragen zum ERP-System bündelte und wo möglich direkt beantwortete, kümmerte sich der nächste um den Prozessabgleich und Schnittstellen zu anderen Systemen. Wöchentliche Projekt-Calls zwischen Softec und VIA stellten sicher, dass Fragen strukturiert beantwortet und Probleme kurzfristig erfasst und gelöst werden konnten.

Zum 1.12.2016 hat die VIA Oberflächentechnik seine ERP-Lösung termingerecht in den Live-Betrieb genommen. Dabei wählte das Unternehmen ein schrittweises Vorgehen.

Schrittweise Einführung

Zunächst folgte der Live-Gang mit mit dem Teil der Kunden, die identische Prozesse aufwiesen. Dieses Vorgehen hat den Vorteil, dass sich die ERP-Anwender bei VIA zuerst in die Standardauftragsabwicklung, Planung und Betriebsdatenerfassung des Programms einarbeiten konnten. Kunden mit komplexeren Prozessen oder spezifischen Sonderregelungen wurden in den Folgemonaten nachgezogen. Das entzerrte die Einarbeitung der Mitarbeiter erheblich.

Die Ansteuerung der vollautomatischen Feinreinigungsanlage wurde direkt zu Beginn an den Start genommen. Über einen Barcode erhält die Anlage direkt aus dem ERP-System alle Informationen zu Vorreinigung und Feinreinigung, die für die Bearbeitung des Auftrags an dieser Anlage erforderlich sind. Bedienfehler werden durch die Durchgängigkeit der Informationsvermittlung im System vermieden. Die Prozessqualität steigt.

Hohe Akzeptanz bei Mitarbeitern

Neben Kosten, Termintreue und Qualität der Software ist auch die Akzeptanz des neuen Systems bei den Mitarbeitern für den Erfolg eines Einführungsprojekts entscheidend. Von den Anwendern hat Marquardt in den Monaten seit Einführung viel positives Feedback erhalten. Die Anwender insbesondere im Wareneingang und der Auftragsabwicklung schätzen die Flexibilität und Nutzerfreundlichkeit des Programms. Es bringt die Vereinfachungen, Automatisierungen und Kontrollfunktionen mit sich, die es den Mitarbeitern ermöglichen, trotz Termindruck und bei extrem kurzen Durchlaufzeiten effizient und weitgehend fehlerfrei zu arbeiten.

Für VIA Oberflächentechnik ist mit der Einführung der neuen ERP-Software der Hauptschritt in Richtung integrierte Systeme getan. Doch der Teilereiniger, der mit einem Tochterunternehmen auch in Polen aktiv ist, wird die Digitalisierung der Unternehmensabläufe insbesondere im Bereich der mobilen Lösungen weiter vorantreiben. Dies war bei der Wahl des Softwarepartners bereits mitberücksichtigt worden. So verfügt der ERP-Anbieter über diverse mobile Standardlösungen wie zum Beispiel webbasierte Produktionsanzeigetafeln oder mobile Betriebsdatenerfassungslösungen unterschiedlicher Komplexitätsstufen. Doch auch für die gemeinsame Entwicklung neuer Anwendungen sieht sich VIA Oberflächentechnik mit seinem Softwarepartner richtig aufgestellt: „Als mittelständischer Branchenanbieter bietet uns Softec direkte Ansprechpartner, guten Service und die Möglichkeit, eigene Vorschläge für die Weiterentwicklung der Software einzubringen. Das ist es, was wir unter einer zukunftsgerichteten Partnerschaft verstehen.“, so Jörg Marquardt.

Veröffentlicht in JOT 10/2017